Seit dem Bau der Pfarrkirche Mariae Geburt hängt nun schon die dritte Glockengeneration in unserem Kirchturm. Als im Jahre 1854 das Gotteshaus kurz vor der Fertigstellung stand, schrieb man einen Brief an das bischöfliche Domkapitel. „Unsere Ansicht in Betracht den Glocken für die neue Kirche ist die, dass man die beiden in der Burgberger Kirche hängenden Glocken in die neue Kirche verwende und zu diesen auch eine dritte größere gießen lasse, in dem zwei bei weitem zu klein sind, um in dem ganzen fast auf eine halbe Stunde sich ausdehnenden Dorfe gehört werden zu können. Für die später als Wallfahrtskapelle zu betrachtende Kirche auf dem Burgberg würde ein Glöckchen von unbedeutender Größe hinreichend sein“, hieß es in dem Schreiben.
Das Domkapitel stimmte dem Vorschlag zu und forderte, dass die beiden Bronzeglocken der Burgbergkirche in die neue Pfarrkirche umgehängt werden.
Die Daten der beiden Burgbergglocken lauteten:
Glocke 1 (Christusglocke)
Inschrift: "DURCH DAS FEUER BIN ICH GEFLOSSEN, JOHANNES UND ANDREAS SCHNEIDEWIND IN FRANCFURD HAT MICH VON DIE GEMEIN AUF DEM BURGBERG GEGOSSEN ANNO 1725"
Gießer: Johannes & Andreas Schneidewind, Frankfurt am Main
Nominal: unbek.
Gussjahr: 1725
Durchmesser: 780 mm
Glocke 2 (Laurentiusglocke)
Inschrift: "IN HONOREM CHRISTI E EIFISCI ET VIRGINE ET VETUSTI MATRIS MARIAE REFUSA 1797 EXAPTA A CAESONE ET IN PACE"
Gießer: Phillip Sauer & Franz Ponchon, Aschaffenburg
Nominal: es''
Gussjahr: 1797
Durchmesser: 700 mm
Der Kirchbauverein forderte zwar die Genehmigung einer dritten, größeren Glocke für die Pfarrkirche, jedoch wird diese aufgrund des damals sehr hohen Metallpreises vorerst abgelehnt. Erst später folgte die Erlaubnis zum Guss der großen Glocke für die Pfarrkirche sowie eines kleinen Glöckchens mit einem Durchmesser von 420 mm für den Burgberg. Der Kirchbauverein beauftragte den Glockengießer Philipp Heinrich Bach aus Windecken, die beiden Instrumente zu gießen und außerdem die beiden alten Glocken aus der Burgbergkapelle in die neue Kirche umzuhängen.
Seit 1858 hing neben der neuen Bach-Glocke auch ein kleines, schmuckloses Glöckchen auf dem Burgberg. Denkmalpfleger Ludwig Bickell datierte das Instrument auf das 15. Jahrhundert. Wo es plötzlich herkam, ist bis heute ungeklärt.
Zurück zur Pfarrkirche: Im ersten Weltkrieg wurden die drei Glocken der Pfarrkirche zwar vom Kriegsministerium erfasst, jedoch vorerst vor dem Schmelzofen verschont. Doch das Glück währte nicht lange - im Jahre 1920 stürzte beim Läuten die große Bach-Glocke aus dem hölzernen Glockenstuhl, schlug zu Boden und zersprang. Daraufhin beschloss der Kirchenvorstand, alle drei Glocken der Pfarrkirche sowie das zweistimmige Geläut der Burgbergkirche einzuschmelzen und daraus drei neue Glocken für Mariae Geburt gießen zu lassen. Wegen fehlenden finanziellen Mitteln musste man jedoch sparen und so fiel das neue Geläut in seiner Größe - setzt man es ins Verhältnis zum doch recht stattlichen Kirchenbau - recht klein aus. Den Auftrag für die drei neuen Bronzeglocken erhielt noch im selben Jahr die Glockengießerei Otto aus Bremen-Hemelingen.
Die neuen Glocken mit den Tönen c''; es'' und f'' (Te Deum-Motiv) trugen folgende Inschriften:
Glocke 1 (Erlöserglocke)
Inschrift: „ERLÖSER BIN GENANNT ICH, GOTTES LOB VERKÜND ICH, DER MENSCHEN HEIL ERSEHN ICH“
Nominal: c''
Gewicht: 290 kg
Durchmesser: unbek.
Glocke 2 (Marienglocke)
Inschrift: "MARIA HEISS ICH, PATRONIN DIESER KIRCHE BIN ICH, ZUM GOTTESDIENST RUF ICH"
Nominal: es''
Gewicht: 175 kg
Durchmesser: unbek.
Glocke 3 (Laurentiusglocke)
Inschrift: „LAURENTIUS MAN NENNT MICH, ZUR TAUF ERSCHALL ICH, DIE TOTEN BEKLAG ICH“
Nominal: f''
Gewicht: 125 kg
Durchmesser: 580 mm
Da die Burgbergkapelle seit dem Ersten Weltkrieg glockenlos war, bemühte sich der Männerverein "Constantia" ab 1933 um eine neue Glocke. Ihre Daten lauteten:
Burgbergglocke
Inschrift: "HL. JAHR 1933. VOM MÄNNERVEREIN KONSTANTIA, BIEBER."
Gießer: F. Otto, Bremen-Hemelingen
Nominal: a''
Gussjahr: 1933
Gewicht: 66,5 kg
Durchmesser: 460 mm
Bis zum Jahre 1940 begleiteten die drei Otto-Glocken die Pfarrgemeinde mit ihrem hellen Klang. Aber schon bald kam der Zweite Weltkrieg und die Erlöserglocke, die Marienglocke und die Burgbergglocke von 1933 mussten zu Rüstungszwecken abgeliefert werden. Die Fa. Prasch aus Roßbach entfernte die Glocken aus dem hölzernen Glockenstuhl. Nach dem Krieg versuchte man zwar, die Glocken auf dem Hamburger "Glockenfriedhof" zu reklamieren, doch ihr Schicksal war besiegelt - sie waren bereits dem Schmelzofen zum Opfer gefallen.
Nur die kleinste der ehemals drei Glocken, die Laurentiusglocke, die als einzige nicht abgeliefert werden musste, verblieb im Turm der Pfarrkirche. Sie wurde 1949 vom Turm geholt und fand im Dachreiter der Burgbergkapelle ihr neues Zuhause, wo sie noch bis heute zu den Gottesdiensten ruft.
Mittlerweile schrieb man das Jahr 1948. Die Mitglieder des kath. Männervereins "Constantia" waren sich einig - hier musste etwas geschehen! Eine solch kleine Lösung wie nach dem Ersten Weltkrieg wollte man jedoch kein zweites Mal in Kauf nehmen. Trotz dass die Kassen der Kirchengemeinde leer waren, war es nicht zuletzt der Wunsch des damaligen Pfarrers Henkel, ein vierstimmiges Geläut anzuschaffen, welches die Platzverhältnisse des Kirchturmes vollständig ausnutzte. Man holte sich Angebote für vier neue Bronzeglocken in der Stimmung e' g' a' h' von den Gießereien Petit & Gebr. Edelbrock aus Gescher und von Otto aus Bremen-Hemelingen ein. Schnell stand jedoch fest, dass ein Geläut dieser Größe viel zu teuer und daher finanziell nicht zu realisieren war. Aus diesem Grund holte man sich auch Angebote für Gussstahlglocken vom Bochumer Verein und für Glocken aus Eisenhartguss von der Firma J. F. Weule aus Bockenem (Harz) ein. Diese waren gerade in den schwierigen Nachkriegsjahren durch ihren günstigeren Preis eine willkommene Alternative. Da man zudem Angst hatte, dass bald wieder ein Krieg sein Unwesen treiben könnte, entschloss man sich dafür, vier Stahlglocken vom Bochumer Verein gießen zu lassen - denn Stahlglocken mussten in den beiden Kriegen nicht abgeliefert werden.
Gemeinsam mit Pfarrer Henkel entschloss man sich nach vielen, emotionalen Diskussionen für die Tonfolge fis' a' h' d'' - dem sogenannten Idealquartett. Das Gesamtgewicht der neuen Stahlglocken betrug 2.365 kg. Den stählernen Glockenstuhl für die neuen Glocken bauten ein paar Schmiede aus Bieber nach den Vorlagen des Bochumer Vereins. Der alte Glockenstuhl aus Holz konnte aus Platzgründen nicht weiterverwendet werden. Darüber hinaus mussten aus selbigen Gründen alle vier Glocken an gekröpften Jochen aufgehängt werden. Die hierdurch entstehenden klanglichen Einbußen nahm man - vermutlich nichtsahnend - in Kauf. Architekt Ernst Weber zeichnete eine Statik für den Kirchturm, welche von Oberingenieur Haurig aus Hanau nochmals geprüft und für tauglich befunden wurde. Der Zusammenbau des neuen Glockenstuhls erfolgte direkt auf dem Kirchturm.
Nachdem die vier neuen Glocken gegossen waren, erreichte die Pfarrgemeinde Bieber am 13. August 1949 ein Schreiben des Bochumer Vereins. "Ihre Glocken sind bereits fertig und könnten noch in diesem Monat zum Versand kommen. Wie Sie wissen, findet in der Zeit vom 1. bis 4. September 1949 in Bochum der Deutsche Katholikentag statt. Wir haben nun die Absicht, Ihr Geläute auf dem Festplatz aufzustellen, um einen würdigen Rahmen für die Feierlichkeiten zu schaffen. Aus diesem Grunde wird es uns dann nicht möglich sein, Ihnen die Glocken wie zugesagt (am 27. August) anzuliefern. Wir hoffen aber zuversichtlich, dass Sie uns Ihre Zustimmung zur Aufstellung des Geläutes auf dem Festplatz nicht versagen werden. Ihre Gemeinde wird es sich sicherlich auch zur Ehre anrechnen, wenn ihr Geläute mit zur feierlichen Ausschmückung der Veranstaltung beiträgt."
Leider hatte das Bistum den Weihetermin der Glocken bereits auf den 28. August 1949 festgelegt und aus terminlichen Gründen konnte Bischof Johannes Dietz dieses Ereignis nicht verschieben. Daher bat der Kirchenvorstand den Bochumer Verein, das Geläut nicht auszustellen und stattdessen zum ursprünglich vereinbarten Termin anzuliefern.
Schon bald darauf kam der lang ersehnte Höhepunkt. Die vier Stahlglocken trafen am 27. August 1949 mit dem großen Lastzug einer Bochumer Spedition in Bieber ein. Ihre Daten lauten:
Glocke 1 (Christkönigsglocke)
Inschrift: „CHRISTUS UNSER KÖNIG“
Nominal: fis' ±0
Gewicht: 1020 kg
Durchmesser: 1350 mm
Glocke 2 (Marienglocke)
Inschrift: „MARIA UNSERE MUTTER“
Nominal: a' +1
Gewicht: 625 kg
Durchmesser: 1135 mm
Glocke 3 (Josephsglocke)
Inschrift: „ST. JOSEPH UNSER VORBILD“
Nominal: h' ±0
Gewicht: 450 kg
Durchmesser: 1010 mm
Glocke 4 (Laurentiusglocke)
Inschrift: „LAURENTIUS UNSER PATRON“
Nominal: d'' ±0
Gewicht: 270 kg
Durchmesser: 850 mm
Alle vier Glocken wurden 1949 vom Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation AG in der sog. überschweren "V12-Rippe" gegossen.
Am Sonntag, den 28. August 1949, dem Tag der Glockenweihe, war die ganze Gemeinde auf den Beinen. Die Glocken waren, an einem festlich geschmückten Holzgerüst befestigt, vor der Kirche aufgestellt worden. Bischof Johannes Dietz aus Fulda weihte die neuen Glocken und am nächsten Tag wurden sie unter Anleitung eines Monteurs vom Bochumer Verein in den Turm aufgezogen, wo sie in den Glockenstuhl eingebaut wurden. Daraufhin erklangen die Glocken zu einem festlichen Geläut.
Die ersten Jahre noch von Hand geläutet, wurden die Glocken im Jahre 1964 mit elektrischen Läutemaschinen der Fa. Perrot aus Calw ausgestattet. Mittlerweile wird das Geläut vollelektronisch angetrieben und von einer automatischen Hauptuhr in Gang gesetzt. Die Glocke der Burgbergkapelle wird jedoch bis heute noch mit reiner Muskelkraft per Seil geläutet.
Nach heutigen Gesichtspunkten ist das Geläut für den schlanken, zierlichen Kirchturm überdimensioniert. Dennoch stellen die vier Glocken ein zeitgeschichtliches Zeugnis dar, als nach dem zweiten Weltkrieg unter großen Opfern der Pfarrgemeinde dem Gotteshaus wieder eine - möglichst tontiefe - Stimme gegeben werden sollte. Und weil die Bieberer Glocken ursprünglich als "Vorzeige-Geläut" des Bochumer Vereins auf dem Deutschen Katholikentag läuten sollten, darf man den lobenden Worten aus dem Abnahmegutachten des Sachverständigen durchaus Glauben schenken: "Dem Bochumer Verein ist das Geläute außerordentlich gut gelungen"!
Unsere Glocken können Sie unter folgendem Link anhören:
Läuteordnung (gültig ab 08.01.2024):
Läuteordnung der Pfarrkirche Mariä Geburt
Alle Bilder: Niklas Grob
Öffnungszeiten Pfarrbüro:
Montag u. Mittwoch 9:30 - 11:00 Uhr
Donnerstag 14:30 - 16:00 Uhr
Öffnungszeiten der Pfarrbücherei:
Mittwoch 17:00 - 18:00 Uhr
(auch während der Sommerferien)
© Mariae Geburt, Biebergemünd-Bieber